Aprilia RSV4R im Test

Zweiter Anlauf

Nach Motorschäden bei der ersten öffentlichen Präsentation ist die erneute Premiere der Aprilia RSV4R ohne Probleme über die Bühne gegangen. Die Italienerin spielt mit den potenten Supersportlern aus Japan in derselben Liga, kann aber zusätzlich ihre italienische Abstammung in Form außergewöhnlichen Designs in die Wagschale werfen. Die Optik der RSV vermittelt sportliche Kompromisslosigkeit. Der polierte Brückenrahmen und die mächtige Schwinge sind technische Kleinodien, an denen der Blick hängenbleibt. Mittendrin ist trotz Vollverkleidung der Motor zu sehen, womit die Aprilia ein weiteres Charakteristikum zur Schau stellt: Hier werkelt das einzige Vierzylinder-V-Aggregat im Reigen der Supersportler, das kann und soll man auch sehen.

Aprilia rsv4r 2(Bildquelle: mid/rkm)

Aus 999 Kubikzentimetern schöpft der Motor mit feinen Zutaten wie Ride-by-Wire-Technologie 132 kW / 180 PS bei 12.500 U/min und ein gewaltiges Drehmoment von 115 Newtonmeter. Dank des engen Zylinderwinkels von 65 Grad nimmt der Motor nur wenig Platz ein und schafft eine unglaublich kompakte Maschine. Beim Aufsetzen fühlt sich die Italienerin eher wie eine schlanke 600er als eine kraftstrotzende Tausender an. Für die ersten Testrunden auf der Rennstrecke in Estoril haben die Aprilia-Techniker das am Lenker dreifach einstellbare elektronische Mapping auf "Sport" gestellt. Daneben gibt's noch die harmlosere Einstellung "Road" und das knackige "Track". Schon in der mittleren Einstellung gefällt die RSV mit enormem Druck und toller Drehfreude. Nur im unteren und mittleren Drehzahldrittel reagiert der Motor etwas verzögert auf Gasbefehle. Im "Track"-Modus ist von diesem verharmlosenden Charakter nichts mehr zu spüren, die Aprilia greift voll an. Schon unten herum produziert sie einen vehementen Schub, der bis weit in den fünfstelligen Drehzahlbereich hinein für ein breites Grinsen unterm Helm sorgt. Wenn man aus den Ecken voll beschleunigt, steigt das Vorderrad schnell in die Höhe. Der nicht einstellbare Lenkungsdämpfer beruhigt die Front und den Pulsschlag des Fahrers aber umgehend. Leichtfüßig und dennoch präzise biegt die mit 205 Kilogramm vollgetankt noch recht leichtgewichtige RSV in die schnellen und langsameren Ecken des Kurses ein, und auf den beiden langen Geraden zeigt sie eine sehr viel Vertrauen erweckende Stabilität.

Aprilia rsv4r 3(Bildquelle: mid/rkm)

Nur an die hundsgemeine Schikane auf dem toskanischen Rennkurs von Mugello muss man sich gewöhnen. Selbst dieses heimtückische Eck verliert mit der willigen und gut kontrollierbaren Aprilia aber langsam seinen Schrecken. Dabei beißen die Radialzangen vehement und exakt dosierbar zu, so dass der Geschwindigkeitsabbau selbst aus Geschwindigkeiten über 270 km/h kein Problem bereitet. Zum vollen Glück fehlt jetzt nur mehr ein rennstreckentaugliches ABS.

Beim Beschleunigen, Bremsen und in Schräglage macht die RSV4R also einen voll überzeugenden Eindruck. Doch wie steht's um die Standfestigkeit? Bei der ersten Premiere Ende Oktober in Mugello musste es nämlich zum Abbruch der Veranstaltung kommen, weil an fünf Motoren Pleuel gebrochen waren. Das ist eigentlich unverständlich, denn die gleichen Motoren laufen ja bereits seit dem Frühjahr in der RSV 4 Factory ohne bekannte Probleme. Doch in den ersten RSV4R-Modellen kam eine neue Charge Pleuel zum Einsatz, die sich im Nachhinein als fehlerhaft herausstellte - insgesamt umfasst eine solche Charge 3.000 Stück. Direkt betroffen waren 50 RSVs, unter anderem diejenigen der Mugello-Präsentation, sowie einige bereits im Werk in Pontedera montierte Motoren. Alle wurden ausgemustert; die schadhaften Pleuel sind jetzt Gegenstand einer juristischen Auseinandersetzung Aprilias mit der Zulieferfirma.

mid/rkm

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